Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

7 
 Juni 
 
2018


 

DICHTUNG Hermann Hesse
LESUNG Ulrich Gebauer
KLAVIER Ralf Schink
BEREITSTELLUNG LYRIK & MUSIK


 

Was ich bis heut an Versen schrieb
Und was ich sonst landein, landaus
An losen Dichterkünsten trieb,
Der ganze leicht gepflückte Strauß —

Mir ist er nichts! Mir welkt er in der Hand,
Ich werf ihn weg und geh auf neuen Wegen
Hinüber in ein neues, andres Land,
Dem ungewissen Reiseziel entgegen.

Und war der Strauß auch einmal frisch und bunt,
Nach andern Straßen drängen meine Sohlen,
Der ganze Tand war doch im Grund — gestohlen.
Hinweg damit! Ich bin ein Vagabund.

Stirnrunzelnd untersucht ein Rezensent
Die welke Ernte und beginnt zu schelten . . .
Ich bin schon weit, auf meinem Hute brennt
Schon eine andre Sonne. Ferne Welten

Verlocken mich; das alte Leierspiel
Mag liegen, wo mir’s aus der Tasche fiel.
Die Jahre gehn so schnell! Wie lang wird’s sein,
So steh auch ich im stillen Kreis der Müden

Und schaue hinter mich in die verblühten
Jahre als in ein fremdes Reich hinein!
Das läßt mir keine Rast; eh mich mit kühlen
Händen der Schnitter greift, will ich und muß

Der Erd’ und Sonne Kräfte in mir fühlen,
Und was sie hegt an Schmerz und an Genuß
Mit starken Armen sehnlich an mich reißen
Und Tod und Leben meine Brüder heißen.

Ob dann ein neues Liederspiel beginnt,
Was liegt daran? Ein Sucher bin ich nur,
Der durch die Welt in Sonne, Staub und Wind
Begierig tastet nach der Schöpfung Spur.

Wo irgendeine unerschöpfte Kraft,
Ein Sprossen, Strömen, eine Leidenschaft
Sich regt und schafft und probende Flügel spannt,
Da ist mir wohl, da ist mein Heimatland.

 
 
5 
 März 
 
2018

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Gedankenschau
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In der Ruhe liegt allerdings auch nur die Kraft, sofern der Ruhe die Sammlung der Kräfte vorangeht, nicht in deren Zerstreuung, im Zerfallen unzähliger Einzelaktivitäten.

 
 
3 
 März 
 
2018

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DICHTUNG Conrad Ferdinand Meyer
LESUNG Walter Franck
BEREITSTELLUNG LYRIK & MUSIK



Ich bin einmal in einem Tal gegangen,
Das fern der Welt, dem Himmel nahe war,
Durch das Gelände seiner Wiesen klangen
Die Sensen rings der zweiten Mahd im Jahr.

Ich schritt durch eines Dörfchens stille Gassen.
Kein Laut. Vor einer Hütte sass allein
Ein alter Mann, von seiner Kraft verlassen,
Und schaute feiernd auf den Firneschein.

Zuweilen, in die Hand gelegt die Stirne,
Seh ich den Himmel jenes Tales blaun,
Den Müden seh ich wieder auf die Firne,
Die nahen, selig klaren Firne schaun.

′s ist nur ein Traum. Wohl ist der Greis geschieden
Aus dieser Sonne Licht, von Jahren schwer;
Er schlummert wohl in seines Grabes Frieden,
Und seine Bank steht vor der Hütte leer.

Noch pulst mein Leben feurig. Wie den andern
Kommt mir ein Tag, da mich die Kraft verrät;
Dann will ich langsam in die Berge wandern
Und suchen, wo die Bank des Alten steht.